- 28. Juli 2025
- Einblicke & Chancen
- Elmar Brümmer
Sie gibt den Ton an – und er das Tempo
Die perfekte Rollenverteilung im Rallye-Auto von Kilian Nierenz und Milena Raithel

Auf den ersten Blick, die klassische Rollenverteilung: Mann am Steuer, Frau auf dem Beifahrersitz. Doch wer genauer hinguckt und hinhört, erkennt bei Milena Raithel und Kilian Nierenz sofort den Unterschied, denn sie sagt, wo es langgeht. Die Arbeitsteilung des Paares aus Oberfranken ist klar geregelt, zumindest solange sie zusammen im Rallye-Auto sitzen: Er holt das Beste aus dem Wagen heraus – und sie das Beste aus ihm. Fahrer und Beifahrer beim Querfeldeinsport, das ist eine echte Schicksalsgemeinschaft. Volle Konzentration, jeder macht sein Ding, aber am Ende funktioniert alles nur im Zusammenspiel. Er lenkt, sie lenkt ihn.
Probefahrt zu Zweit
Das Team Nierenz/Raithel funktioniert ziemlich gut. In diesem Jahr fahren die beiden einen Corsa Rally Electric im internationalen ADAC Opel Electric Rally Cup, liegen nach drei Meisterschaftsläufen in der Gesamtwertung auf dem dritten Platz. Sie sind damit derzeit die besten deutschen Starter. Nicht schlecht für ein Duo, das erst seit drei Jahren zusammen an den Start geht – auf den Wertungsprüfungen und im richtigen Leben. Milena Raithel hat erstmal an der Seite eines anderen Piloten ausprobiert, ob Beifahren etwas für sie ist, Kilian Nierenz hatte schon früh Ambitionen, Rallye auf nationaler und internationaler Ebene zu fahren. Wie der erste gemeinsame Auftritt verlief? „Es war ziemlich spannend, mit Kilian mal im Rennmodus zu fahren“, erinnert sie sich. Der abgerissene Unterfahrschutz? Offensichtlich ein gutes Omen.

Feste Rollen im Cockpit
Jedenfalls hatte sich sofort das gegenseitige Vertrauen eingestellt, und das ist das Wichtigste, wenn es um sportliche Extremsituationen geht. Unisono sagen die beiden: „Wir verstehen uns blind“, sagen sie unisono. Und, dass die Partnerschaft außerhalb des Autos ein großer Vorteil sei, da das Grundvertrauen jenseits der Wertungsprüfungen ja schon da ist. Selbst wenn sich die Beifahrerin mal eine der – seltenen – kleinen Unsicherheiten leistet bei den Ansagen vor der nächsten Kurve, dann hört das Pilot Nierenz schon an der Stimme, und handelt entsprechend vorsichtiger. Rallyefahren hat immer viel mit Gefühl zu tun. Lachend sagt sie, dass er mehr meckert, als es Beifahrerinnen immer nachgesagt wird, und er fügt mit einem Schmunzeln hinzu, dass sie besser darin sei, Dinge wegzustecken. Gemeinsam beteuern sie: „Wir haben auch beim Sport enormen Spaß zusammen.“

Mit Vertrauen durch jede Kurve
Wenn sich einer auf den anderen verlassen kann, dann wird auch nicht viel diskutiert. Gibt es trotzdem Gesprächsbedarf, dann klären es die beiden sofort, und nix aus dem Schalensitz wird mit nach Hause auf die Couch genommen. Die Rollen tauschen, das können sich beide nicht vorstellen. Er sagt, dass er ein schlechter Beifahrer wäre, Sie sagt, dass sie gern nebendran sitzt: „Ich organisiere gern, und das ist bei einer Rallye das A und O. Außerdem hat Kilian das größere Talent am Steuer, und schließlich wollen wir uns ja immer verbessern und nicht verschlechtern.“ Echtes Teamwork, das auch gut für die Beziehung ist: „Wir teilen so viel miteinander und können zusammen etwas erreichen, was ohne den anderen gar nicht möglich wäre.“

Warum gerade Querfeldein?
Motorsport bestimmt auch sonst das Leben der beiden, beim Automobilslalom oder Sim-Racing. Aber die große Faszination, das ist die Rallye. Wer so durch Kurven driften kann, unbekanntes Gelände mit wechselndem Terrain entdecken und erobern kann, den muss die Rundstrecke natürlich langweilen. „Ich mag es, dass wir gleich beim ersten Versuch die richtige Linie finden müssen und nicht 50 mal um die gleiche Piste fahren“, sagt Kilian Nierenz. Als der 27-Jährige davon spricht, dass Rallyefahren viel mit Abenteuer zu tun hat, nickt seine 23 Jahre alte Partnerin.
Eine Frage des Respekts
Gemeinsam lässt sich auch der Druck lindern – oder der Antrieb steigern. „Du musst immer voll und ganz da sein. Kilian arbeitet am Steuer, ich mit meinem Kopf“, sagt die Co-Pilotin über Anspruch und Belastung des gemeinsamen Tuns. Der Druck ist größer geworden, jetzt, wo sie auf europäischer Ebene starten. Angst haben darf man in diesem Sport grundsätzlich nicht, aber leichtsinnig darf auch keiner werden. „Wir nennen es Respekt vor der Aufgabe“ sagen die beiden Oberfranken. Sicher durchkommen und nichts kaputtmachen, das ist die Basis. Alles, was darüber liegt, ist der eigentliche Sport – die Jagd nach der Bestzeit. Rallyefahren mit einem Elektroauto, das gehorcht eigenen Gesetzen. Der Schwerpunkt des Opel liegt maximal tief, das Auto ist schwer – und ist in den Kurven trotzdem schneller als ein Verbrenner.

Die GTÜ geht mit an den Start
Möglich gemacht werden die Auftritte des Teams Nierenz/Raithel auch durch die GTÜ-Prüfstelle Selbitz, denn auf diesem Niveau braucht es nicht nur Können und Nerven, sondern auch Sponsoren. Gute Beziehungen zu Ingenieuren können bei Motorsportlern auch nicht schaden, für die Prüforganisation wiederum ist es schön, wenn das Logo an der Strecke und auch im TV zu sehen ist. Wenn es mit dem geplanten Sprung in die Deutsche Rallye-Meisterschaft klappt, dann braucht es nochmal mehr Unterstützter, Spitzenteams brauchen dort einen mittleren sechsstelligen Betrag. „Wir wollen da reinwachsen“, sagen die beiden über ihr großes sportliches Ziel. Rallyefahren ist für sie längst mehr als ein Hobby. Eine Beziehungskiste im besten Wortsinn.
