Das Snowhow für Winterreifen

Wo und wie die GTÜ die nächste Pneugeneration quält.

Garantiert schneesicher: Winterreifentester im Auftrag der GTÜ

Winter ist etwas Situatives, zumindest laut Straßenverkehrsordnung, Paragraph 2, Abschnitt 3a. Der besagt, dass man bei winterlichen Straßenverhältnissen – Schneeglätte, Schneematsch, Eisglätte – nur mit Winterreifen fahren darf. Hier, mitten in der finnischen Weite, stellt sich die Frage gar nicht: Winter endlos. Nach dem Symbol mit der kleinen Bergspitze samt Schneeflocke auf der Reifenaußenwand muss auch keiner gucken: Die Gummis versinken entweder im frischen Weiß, oder sie knirschen übers Eis und graben sich durch die Schneeglätte. In diesen nordischen Breitengraden, näher am Polarkreis als an Deutschland, gilt sie noch, die Faustformel O bis O (Oktober bis Ostern) für den Einsatz wintertauglicher Pneus. Denn hier ist das Snowhow zu Hause.

Schwarz auf Weiß: Hier geht es um die Sicherheit

Alle Wetter. Schon der Blick aus dem Quartier zeigt den Ingenieuren: Hier sind sie richtig. Das blendende Weiß der Landschaft und das satte Schwarz der Gummis sind der perfekte Kontrast. Aber die Test-Mannschaft ist ja nicht aus touristischen Gründen in den hohen Norden gekommen, sondern der Strapazen wegen. Nur unter diesen Bedingungen lässt sich den aktuellen und kommenden Reifengenerationen alles abverlangen, was unter den für gewöhnlich sanfteren mitteleuropäischen Wetterbedingungen im Extremfall auch gefordert sein kann. Der Reifen ist das vielleicht am wenigsten beachtete Teil am Auto, das größtmögliche Sicherheit bieten muss.

Temperatur im Keller, Testfahrer im Hoch

In der Formel 1 sprechen sie gern übers Temperaturfenster, da können ein oder zwei Grad hin und her ein Rennen entscheiden. Bei den Winterreifen ist eine weit größere Bandbreite gefordert, zwischen Plusgraden im unteren Bereich bis zu zweistelligen Minusgeraden. Die Tester von ACE, GTÜ und ARBÖ kennen keine Gnade, notieren bei ihren Tempofahrten, Drifts und Bremsmanövern penibel jede Stärke, und noch genauer jede Schwäche. Ein verantwortungsvoller Job, bei dem es nicht nur um die Traktion geht, auch dem Aquaplaning müssen sich Winterpneus stellen, in der Übergangszeit und bei Tauwetter ein gefährliches Phänomen. Auch die Kriterien Wirtschaftlichkeit und Umwelt werden bewertet, schließlich ist der Rollwiderstand höher und das Fahrgeräusch lauter. Entscheidend für die Sicherheit sind aber vor allem Seitenführung, Lenkverhalten und Kontrollierbarkeit.

Wenn es knirscht, ist das hier ein willkommenes Geräusch

Der Druck steigt – um 0,2 bar

Bevor es auf die Testfahrten geht, wird noch schnell der Reifendruck gecheckt. Faustregel: Im Winter besser um 0,2 bar erhöhen, um die Auswirkungen von Temperaturschwankungen zu mindern. Dann aber können die Lamellen auf der Lauffläche (das Profil sollte wie immer mindestens vier Millimeter tief sein) zeigen, aus welchem Gummi sie geschnitzt sind: Sie öffnen sich beim Abrollen und verzahnen sich so mit dem Untergrund. Die spezielle Materialmischung – jeder Hersteller schwört auf sein Geheimrezept – sorgt dafür, dass die Reifen auch in der Kälte möglichst weich bleiben. Ganzjahresreifen werden zwar immer beliebter, bleiben aber im Winter immer auch ein Kompromiss, wie die Experten Henning Renner und Marco Lucke beim Härtetest herausfinden.

Folterkammer unter Wintersonne

Auf dem 700 Hektar großen Areal des Testzentrums von Ivalo bietet sich reichlich Gelegenheit, die neuen Pneus herauszufordern, über 20 Streckenführungen sind möglich, auch eine Eishalle gehört zum Gelände. Zwischen Pylonen und Schneewänden wird auch auf Zeit gefahren. Seit knapp vier Jahrzehnten werden hier 200 Tage im Jahr (und etliche Nächte dazu) Winterreifen gequält. Sommer ist hier nur ein Intermezzo. Die Test-Ingenieure haben die Wintersonne lieben gelernt. Ansonsten wärmen sie sich auch daran, mit ihrer jährlichen Kälte-Expedition viel für mehr Sicherheit zu tun.