Das Autoland ist zurück

Die IAA in München zeigt: da ist Bewegung in der Branche

Bild: iaa-mobility.mediaportal.ai

Tatsächlich, jenseits aller EU-Gesetzmäßigkeiten und allgemeiner Panikmache: Mobilität funktioniert, Autos faszinieren. Die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA), einst eine von vielen Leitmessen der Branche und inzwischen eine der letzten strahlenden, kann beim dritten Anlauf in München punkten. Mit Diskussionen und Kongressen fürs Fachpublikum in den Messehallen, aber vor allem mit einem Außenbereich, der ein paar der schönsten Plätze in der bayrischen Landeshauptstadt mit dem Neuesten aus der Mobilität beglückt. Das Publikum zieht mit: Mehr als eine halbe Million Besucher bescheren einen Rekord. Selbiges gilt auch für 750 Aussteller aus 37 Ländern.

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Eine ganze Meile Mobilität

Die Menschen folgen der Gesetzmäßigkeit der Straße. Eine ganze Ausstellungsmeile verbirgt sich hinter dem abstrakten Begriff „Open Space“: Da steht ein Oldtimer-Bulli von VW, aus dem Melitta-Kaffee ausgeschenkt wird, da lädt ein chinesischer Hersteller ein, im Cockpit Karaoke zu singen, da legt Porsche sein überdimensionales Wappen so quer, das bequem alle Modelle drunter passen, und lässt dazu noch ein Karussell aufstellen, in bunter Reihe wechseln sich Technologiekonzerne und Lastenfahrradhersteller ab, auch die Münchner S-Bahn ist dabei. Genau so sollte Mobilität sein (oder werden): Platz für alle Bedürfnisse und die unterschiedlichsten Antriebsarten – auch wenn die meisten auf dieser Schau ohnehin zu Fuß unterwegs waren. Was ein Schuhgeschäft gleich am Eingang zur Ausstellungsmeile zum Werbeslogan im Schaufenster taugte: „Besser gut gegangen, als schlecht gefahren.“

Bild: Porsche AG

Die IAA bleibt in München

Einfache Logik, im Alltag nicht immer so einfach umzusetzen: bring die Autos zu den Menschen funktioniert jedenfalls gut als Messekonzept. So gut, dass München auf jeden Fall noch drei weitere Male die IAA Mobility beherbergen darf: 2027, 2029 und 2031. Wer den Wandel betrachtet, den die früher in Frankfurt beherbergte Ausstellung durchläuft, der ist schon gespannt auf die Zukunft. Aber genau darum geht es auch, vor allem für die deutschen Hersteller und Aussteller: Zeigen, wie viel Kraft und Tempo in dieser Schlüsselindustrie stecken, in der es allein über eine Dreiviertelmillion direkt Beschäftigte gibt. Nicht nur für die gilt das Motto, dass Bundeskanzler Friedrich Merz bei seinem ausgiebigen IAA-Besuch formuliert hat: „Die Welt soll nicht mit Verwunderung auf Deutschland schauen, sondern mit Bewunderung.“

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Volle Offensive beim Heimspiel

Gut zu sehen, dass es vielen Menschen immer noch ums Auto geht, sich inzwischen sogar wieder behaupten lässt: Das Autoland ist zurück. Oder, wie es Geschäftsführer Jürgen Mindel für den gastgebenden Verband der Automobilindustrie (VDA) formuliert hat: „Das Auto ist und bleibt der wichtigste Anker der Mobilität.“ Nicht als Mythos, sondern gelebt. Tesla jedenfalls hat niemand vermisst in München. Beim Heimspiel sind die einheimischen Hersteller in die Offensive gegangen, in allen Spielarten. Mercedes setzt seine Hoffnungen auf die Elektrifizierung seines Erfolgsmodells GLC, BMW bringt als erstes Modell der Neuen Klasse den IX3, Volkswagen zeigt mit dem Konzept ID. Cross einen bezahlbaren Kompakt-SUV, Porsche präsentiert sein Spitzenmodell 911 Turbo S.

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…und es bewegt sich doch

Technologie trifft allerorten Nachhaltigkeit, was sogar den ehemaligen Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel zum Messebesuch treibt. Innovationskraft tun not, den auffällig präsentierten sich chinesische Hersteller wie BYD oder Xpeng mit riesigen Ständen. China drängt mit Macht nach Europa und insbesondere nach Deutschland, wo die Absatzzahlen bislang noch bescheiden sind. Mit Togg will künftig auch ein türkischer Hersteller ein Teil vom Kuchen. Die neue Bedeutung der IAA ist für die deutschen Hersteller klar – mehr Vielfalt im Wettbewerb bedeutet mehr Anstrengung. In München ist diese Aufbruchsstimmung allerorten zu spüren. Die Rückbesinnung auf die eigenen Stärken ist vielleicht die allerbeste aller Antriebsarten – und vermutlich auch die nachhaltigste. Das Autoland hat vor allem eins bewiesen: und es bewegt sich doch…

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Stadt, Land und Verkehrsfluss

Ein Auto braucht vor allem einen Antrieb: den Spaß am Fahren.

Warum sich dem Fahrspaß nicht philosophisch nähern, wie es die Kollegen von „ramp“ getan haben: „Das Auto umschließt, schmiegt sich an, relativiert das Belanglose und übererregt das Unwichtige, es schirmt ab – um uns unmittelbar den Horizont zu eröffnen.” Versprochen wird in dieser schönen Theorie auch ein geschützter Eigenraum mit Aussicht auf unendliche Optionen. Dann wollen wir mal uns mal öffnen…

Überland statt überhand

Der Autor fühlt sich wie ein Hybrid. Er nimmt Überland gern seinen hocheffizienten Verbrenner, denn er entscheidet sich ganz gern spontan für längere Fahrstrecken. In der Stadt, häufig ebenso impulsiv, ist der Elektriker vom Carsharing ungeheuer praktisch. Der wilde Wechsel folgt einem Grundsatz: Den eigenen inneren Antrieb lassen sich Kolumnisten generell nicht gern vorschreiben. Autofahrer können, dürfen, wollen noch Individualisten sein. Fern jeglicher Ideologie, der Vernunft gehorchend (hoffentlich). Straßen eröffnen häufig neue Welten, manchmal auch direkt vor der Haustüre.

Lass‘ uns das Fluchtfahrzeug nehmen

Tatsächlich spielt die Sehnsucht nach der Rückmeldung der Straße eine große Rolle beim Unterwegssein. Beseelt auch durch eine kluge Auto-Autorin, die ins Fahrtenbuch schrieb: „Wie man Fortbewegung empfindet, ist eine Frage von Wahrnehmungsfähigkeit und Kenntnis, es sollten daran alle Sinne ebenso beteiligt sein ebenso wie der Verstand. Es bleibt dann immer noch genug jenseits des Rationalen.“ Autos sind Fluchtfahrzeuge. Jedenfalls, wenn man Zeit und Lust hat. Momente, die man niemand erklären muss, aber fühlen kann.

Immer der Nadel nach

Zurück zum Staunen, zum fort-bewegen, im tieferen Wortsinn. Der Startknopf formuliert die Liebeserklärung. Mal an die Umgebung, mal ans Fahren selbst. Endlich wieder spüren, warum nicht auch die Straße? Das kann dann schon mal ein paar Autobahnkilometer länger gehen als geplant. Die Tanknadel hält sich wacker, und nach Lektüre des Blogbeitrags über den Zustand der Ladesäulen im Fernverkehr sind wir auch ganz froh darüber, dass wir nicht ans Kabel müssen.

Hindernisse in der GTÜ-Hauptstadt

Städte sind, anders als Autobahnen mit ihrer klar definierten Spurbreite, kaum fassbar. Sie dehnen und pressen, ducken und öffnen sich. Die GTÜ-Hauptstadt Stuttgart mit ihrer Topografie ganz besonders. Zusätzlich ist für Autos ein täglicher Hindernisparcours aus Baustellen, Umleitungen, Parken in zweiter Reihe aufgebaut. Das macht beim besten guten Willen auch im E-Auto wenig Spaß. Im Sommer schon gar nicht, wenn wir uns angesichts des vom Vormieter hinterlassenen Batteriezustandes erst gar nicht an den Schalter für die Klimaanlage herantrauen. Aber grundsätzlich ist stromern in der Stadt sinnvoll, dafür würden wir sogar ein Stück unserer Autonomie aufgeben – irgendwann.

Tanzen oder rütteln?

Neil Diamond empfindet in seiner großartigen Großstadthymne “Beautiful Noise” die Choreographie des New Yorker Straßenverkehrs sogar als romantisch, sieht die Autos zum Takt der Lichter tanzen. Häufige Car-Sharer hierzulande frönen gern einem anderen musikalischen Spielchen nach der Anmiete: Immer das erste Lied auf dem Sender hören, den der Vormieter eingestellt hatte. Mit einer grundsätzlichen Ausnahme: Ballermann-Hits gelten als No-Go im Car-to-Go. Kürzlich kam es aber gar nicht so weit. Der Cinquecento sperrte sich hartnäckig, obwohl die App längst freie Fahrt signalisiert hatte. Die Hotline riet daraufhin: kräftig rütteln. Aber es rührte sich nichts. Kein Fahrspaß. Aber immerhin haben wir uns dabei selbst emotional aufgeladen, noch dazu völlig emissionsfrei.

Zwei Monde, zwei Welten

Vielleicht erscheint Ihnen diese Kolumne zu unentschieden. Das ist pure Absicht, denn der Fahrspaß besitzt seine ganz eigene Neutralität. Denn dieses Vergnügen ist keine Frage der Motorisierung, nur eine der Gelegenheit. Haruki Murakami lässt in seinen literarischen Meisterwerken auch zwei Monde erscheinen. Warum sollten wir also nicht in zwei Welten fahren können – und uns für das jeweils Beste entscheiden?

Walter De Silva: Der Meister der Linien

Die Blog-Serie zu den berühmtesten Automobildesignern, Teil vier.

Foto: Volkswagen

Sie bestimmen das Aussehen unserer Autos, und damit auch das, was wir im Alltag sehen oder fahren. Aber die Gesichter der Designer selbst bleiben in der Regel im Verborgenen. Stille Künstler. Dabei verbergen sich dahinter selbst echte Typen. In dieser Serie stellen wir einige der angesehensten Fahrzeugschöpfer vor. Diesmal:  Walter Maria de Silva, der ehemalige Chef-Designer von Alfa Romeo und Volkswagen, der nicht in Rente gehen kann und immer weiter Autos entwirft, auch für chinesische Hersteller.

Die Autoliebe beginnt im Kinderzimmer

Als kleiner Junge in Autos verliebt zu sein, ist keine große Kunst. Aber daraus später seinen Traumberuf zu machen, das schaffen nicht viele. Liebeserklärungen, das trifft sein Tun bei aller Schlichtheit vieler Entwürfe ganz gut – Love Stories auf vier Rädern. Der inzwischen 74 Jahre alte Italiener hat kein Modell vergessen, das er je gezeichnet hat: „Alle meine Autos sind wie Söhne für mich.“

Ein Italiener kleidet die deutschen Autos neu

So richtig kann man sich den gesetzten älteren Herrn kaum vorstellen, wie er da in Wolfsburg oder Ingolstadt kurz nach der Jahrtausendwende seine Erfahrungen aus dem Designzentrum von Alfa und Fiat auf die stolzen deutschen Autoschneider übertragen hat. Die Arbeit bei Seat, wo er den neuen León schuf, wies aber schon in die Richtung. Audi und Lamborghini waren die folgerichtigen nächsten Schritte im Markenensemble von Volkswagen, der Audi A6 und der Lambo Murciélago wurden prompt als „schönste Automobile der Welt“ ausgezeichnet. Soll er selbst die Autos bewerten, die er geschaffen hat, nennt er den A5 als seinen Favoriten.

Foto: Volkswagen

Klare und funktionale Handschrift

Jetzt, wo er in seinem eigenen Designstudio weiter die Zukunft gestaltet, kann er seine Thesen ohne große Umwege, Meetings und Lenkungskreise in die Tat umsetzen, frei nach seiner Grundthese: „Design ist eine multidisziplinäre Tätigkeit, die sich aus analogen und digitalen, ökologisch-nachhaltigen, ästhetischen und poetischen Komponenten entwickelt.“ Wenn es um Fahrzeugstudien, Flugzeugkabinen und Fitnessgeräte aus seinem Haus geht, wird das ihm verhasste Über-Design verhindert. Klar und funktional ist seine Handschrift, elegant aber darf sie auch sein.

Ohne Prinzipientreue geht es nicht

Nach 2007 galt seine ganze Schaffenskraft dem Volkswagenkonzern, zu den alten Bekannten Audi, Seat und Lamborghini gesellten sich auch VW, Skoda, Bentley und Bugatti. Kaum im Amt als Chefdesigner kümmerte er sich gleich um Golf, Passat und Scirocco. Insgesamt acht Jahre lang verantwortete Walter de Silva unprätentiös das Portfolio, eher er nach einer Pause in den Unruhestand zurückkehrte und seither unter eigenem Namen feine Sachen macht. Seine Schöpfungen haben nichts an Leichtigkeit verloren, und die Basis dafür ist ein simpler Satz: „Ein Auto muss mit zwei, maximal drei Linien definiert sein.“ Klingt simpel, ist aber alles andere als einfach. Es braucht vor allem Prinzipientreue.